Kardinal-von-Galen-Kreis e.V.
„Eine weitverbreitete liturgische Unbildung im Verein mit dem inzwischen in den Gemeinden gewachsenen Bewußtsein, alle Menschen guten Willes seien gleichermaßen für die ‘Gestaltung’ der Liturgie zuständig, hat zu eine Verwässerung des Gedankens der ‘tätigen Teilnahme’ geführt. Wo der Gedanke der christlichen Gemeinschaft zur Vorstellung mutiert, der Gottesdienst sei ein gruppendynamisches Erlebnis, wo die Gestalt der Messe zu einer bloßen Geschmackssache wird, da weht der Geist der Liturgie nicht mehr.“ 1 Das Feld des Traditionalistenstreites ist (heute) die Liturgie, und zwar seit der Einführung des „Novus Ordo“ durch Papst Paul VI. Daß dieser Streit ein sichtbares Austragungsfeld um Erzbischof Lefèbvre und seine Piusbruderschaft erhielt, unterstreicht seine Tragik. Hier wurde etwas zu einem Prizipienstreit hochstilisiert, was nie streitig werden mußte.
Um was geht es? Radikalreformer haben nach dem II. Vaticanum die Liturgiekostitution von 1962, die erste Konstitution des Vaticanums überhaupt, „den Notwendigkeiten unseres Zeitalters besser anzupassen“2 gesucht und sind nach dem Eindruck vieler wie eine „pressure group“ vorgegangen, ohne zu bedenken: „Wo die Auseinandersetzung ernsthaft geführt wird, ist sie eine Arbeit am theologischen Begriff.“3 Und so hat sich mancher gefragt: Warum beschäftigte sich das Konzil zuerst mit der Liturgie? Gab es nichts Wichtigeres und Notwendigeres?“ Das Konzil antwortet: „Denn die Liturgie enthält einen kraft göttlicher Einsetzung unveränderlichen Teil und Teile, die dem Wandel unterworfen sind. Diese Teile können sich im Laufe der Zeit ändern, oder sie müssen es sogar, wenn sich etwas in sie eingeschlichen haben sollte, was der inneren Wesnesart der Liturgie weniger entspricht oder wenn sie sich als weniger geeignet herausgestellt haben.“4
Liturgische Vorgänge sind in sich nicht eindeutig und können „zu verschiedenen Zeiten mit unterschiedlichen Zeichen bezeichnet werden“5. Das Konzil meinte nun, die „aktive Teilnahme“ der Gemeinde durch Veränderung betimmter Zeichen fördern zu können. Doch es ist wie mit rituellen Zeichen im säkularen Umgang der Menschen untereinander: Wenn Menschen neue Zeichen setzen, um einen kommunikativen Kontakt herzustellen (sprich: bei der Begrüßung), dann meinen andere, daß die Neuerung per se eine neue Gesellschaftsordnung schaffe. Dabei geht es nach dem Willen des Konzils bei jeder Veränderung darum, „daß die Gläubigen bewußt, tätig und mit geistlichem Gewinn daran (d.i. die Liturgie) teilnehmen können“6.
Der Streit ist nun aber darum entbrannt, ob hl. Zeichen so verändert (worden) sind, daß sie der Tradition widersprechen. Wer diese Frage bejaht, muß als Traditionalist bezeichnet werden; denn Tradition im Sinne der kirchlichen Lehre ist eben nicht das Festhalten am Veränderlichen („Das Recht, die heilige Liturgie zu ordnen, steht einzig der Autorität der Kirche zu. Diese Autorität liegt beim Heiligen Stuhl und nach Maßgabe des Rechtes beim Bischof.“7), sondern einzig und allein das Festhalten an der Glaubenssubstanz! Die alles entscheidende Frage ist also: Bestimmen liturgische Formen die Inhalte des Glaubens, oder bringt der Glaube erst die liturgischen Formen hervor? Der Traditionalismus, wie er sich in den 30-35 Jahren, genauer nach der Einführung des Novus Ordo, manifestierte und inzwischen etabliert hat, geht offensichtlich davon aus, daß liturgische Formen Träger von Glaubensinhalten sind.
Scott und Kimberly Hahn beschreiben in „Unser Weg nach Rom“8 die für Konvertiten evangelistischer Prägung nur schwer nachzuvollziehende Beobachtung, daß „geborene“ Katholiken nur geringe Neigung zeigen, sich mit den Inhalten ihres Glaubens auseinanderzusetzen. In einem flammenden „Aufruf an die Katholiken, Bibelchristen zu werden“9 zeigen sie, wie sehr Katholiken ihren eigenen Glauben verraten: „Es war mir nicht klar, ob die Katholiken das auch wirklich glaubten, was ich als ihren Glauben studierte.“10
Eines aber macht die Lektüre dieses Buches klar: Glaube kommt nicht von religiösen Formen, sprich: von bestimmten Liturgien her, sondern einzig und allein von der lebendigen Beziehung zu Jesus Christus. Daraus erwächst dann die Liturgie, wie sie uns die Kirche lehrt! Wenn der Glaube kalt ist, kann keine noch so in ehrfürchtiger Weise gefeierte Liturgie ihn wiederbeleben. Das Erlebnis der Liturgie kann allerdings den Glauben anstoßen, wie es auch das genannte Buch deutlich macht. Vor seiner Konversion war Scott Hahn regelmäßiger Besucher der hl. Messe, jedoch kein Wort von tridentinisch, also traditionalistisch! Er erzählt, daß er über Priester des Opus Dei, die die Messe im Gehorsam nach dem Novus Ordo feiern, und anderen die Liebe zur Messe entdeckt hat.
Was also treibt Traditionalisten, gegen den Novus Ordo zu polemisieren? Hat das Festhalten am tridentinischen Ritus Alibifunktion: Wer die Messe so (mit-)feiert, ist eo ipso „recht-gläubig“? Brauche ich mich dann um meinen Glauben als Glauben nicht mehr zu kümmern, weil ich ihn ja „habe“ („besitze“)? Dieser Verdacht „verdichtet“ sich immer mehr, wenn man wie der Schreiber beobachten konnte, daß manche keine - zumindest keine Werktagsmesse - besuchen, wenn sie nicht „tridentinisch“ gefeiert wird. In Einzelfällen bezog sich das sogar auf die Sonntagsmesse! Geht es um das eucharistische Opfer oder um „meine“ Messe“? Natürlich kann niemand leugnen, daß es „eine verbreitete liturgische Praxis in den Pfarrgemeinden (gibt), in der eifrige, aber wenig kenntnisreiche ‘pressure groups’ (Eltern, Jugendliche, Senioren) dem Pfarrer die liturgische und theologische Kompetenz gelegentlich kurzerhand absprechen. Die allgegenwärtige katholische Gremienwirtschaft beansprucht so Gestaltungshoheit auch über die Liturgie, und nicht jeden Pfarrer befällt dabei Unbehagen; manchem scheint das Wissen darum, daß die Gestalt der Liturgie ihrer Natur nach kein Gegenstand eines Gremienkonsenses sein kann, bereits abhanden gekommen zu sein.“11
Der Glaube lehrt, seinerseits belehrt und unterstützt durch das kirchliche Lehramt, daß, wenn der Priester die hl. Messe so zu feiern beabsichtigt, wie die hl. Kirche es will und vorschreibt, gültiger Vollzug des Opfers Jesu Christi auf Golgatha ist, auch wenn das „Drumherum“ (Spiel, Sketch, Tanz u.a.m.) dem ernsthaft Mitfeiernden die Schläfen vor Ärger schwellen läßt. Wer wollte vorkommende Mißbräuche und Fehlentwicklungen wegdiskutieren! „Die Teilnahme des Volkes solle durch Akklamationen, Antworten und Gesang gefördert, der Muttersprache ein breiterer Raum in den Lesungen, Hinweisen, Gesängen und einigen Orationen zugebilligt werden.“12 Doch welcher verantwortliche Priester ist sich der Tatsache bewußt, daß er eine Wächterfunktion wahrzunehmen hat? „Deshalb darf durchaus niemand sonst, auch wenn er Priester wäre, nach eigenem Gutdünken in der Liturgie etwas hinzufügen, wegnehmen oder ändern.“13 Der Gremienkatholizismus hierzulande bedingt, daß sich Laien-Theologen Befugnisse anmaßen, die ihnen nicht zustehen. Auf das dornige Feld der Glaubensvermittlung wagen sie sich nicht, weil sie merken, daß ihnen trotz allen Studiums die Sachkompetenz fehlt. Also besetzen sie scharenweise die Liturgieausschüsse der Pfarrgemeinderäte, weil dies ein Feld ist, auf dem man sich exponieren kann. Der sich rechtgläubig vorkommende Christ mißt diese Liturgieveranstaltungen an der Elle der „tridentinischen Messe“ und stellt folgerichtig „Verlust der Glaubenssubstanz“ fest, ohne sich zu fragen, ob das nun wirklich Glaubensverlust bedeutet. Doch anstatt sich nun wirklich für die Weitergabe von Glaubensinhalten zu engagieren, ziehen sie aus der Pfarrgemeinde aus. Diese „Privatisierung“ des Glaubens droht zur größten Gefahr für den Bestand des Glaubens überhaupt zu werden. Ihr entgegenzuwirken ist unsere vorrangige Verpflichtung.
© Reinhard Dörner
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